Forderungen an Junge-Reyer übergeben

Unterstützerinnen und Unterstützer der öffentlichen Massenbesetzung des ehemaligen Flughafens Tempelhof haben heute Mittag der Berliner Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer einen offenen Brief an den Senat und die Senatsfraktionen übergeben. Darin fordern sie die Öffnung des Geländes zum 20.06. und die Beseitigung des Zauns.

Darüber hinaus übt der Brief massive Kritik an der Berliner Stadt- und Wohnungspolitik. Sowohl im Fall Tempelhof als auch in der Stadt insgesamt dominieren private und kommerzielle Interessen die Entwicklung der Stadt und die Verteilung von Wohnraum. Wachsende Probleme wie die Explosion der Mieten, Verdrängung von Bevölkerungsteilen und zunehmende soziale Spaltung der Stadt werden ignoriert oder gar noch durch politische Entscheidungen verstärkt.

Der Brief macht deutlich, dass auch im Fall Tempelhof ganz akute Probleme drohen. Dazu heißt es: „Wir wollen nicht hinnehmen, dass den Menschen rund um „Tempelhof“ das gleiche Schicksal der Verdrängung ereilt, und stellen uns daher gegen die geplanten Bebauungen. Die Meinungen der Bevölkerung wurde lange genug von Regierenden übergangen, so dass wir nur noch uns selber glauben können und eine Besetzung des Gebietes als letztes Mittel erachten, um die beschriebenen Szenarien zu verhindern oder ein deutliches Signal zu setzen.“

Im Brief werden drei zentrale Forderungen formuliert, die mit der öffentlichen Massenbesetzung verbunden sind:

1. Öffnung des Zauns und freie Zugänglichkeit für alle
2. Keine kommerzielle Nutzung und Bebauung, keine Verdrängung der
Anwohner_innen
3. Schluss mit der Privatisierung und Kommerzialisierung der Stadt,
Gentrifizierung stoppen, für eine selbst bestimmte Stadtentwicklung

Da sich die Squat Tempelhof als offene Aktion versteht, lädt der Brief am Ende auch die Senatorin zur Massenbesetzung ein: „Stoppen sie sämtliche Bauvorhaben in Berlin, die zur Verdrängung von AnwohnerInnen führen! Kommen sie am 20.06.2009 zum Tempelhofer Feld! Eröffnen sie gemeinsam mit uns den größten Freiraum Berlins!“

Text des Offenen Briefs:

Sehr geehrte Mitglieder des Berliner Senats, sehr geehrte Abgeordnete der Senatsfraktionen,

wie Sie sicherlich bereits durch Medien und andere Stellen erfahren haben, hat sich aufgrund ihres sauber ausgeklügelten Nachnutzungskonzeptes für das Gelände des ehemaligen Flughafenfeldes „Tempelhof“ ein breites und buntes Bündnis namens „Squat Tempelhof“ gegründet. Das Bündnis stellt einen Zusammenschluss verschiedenster Einzelpersonen und Gruppierungen dar, die mit dem vom Senat entworfenen Nachnutzungsplan nicht einverstanden sind. Das Bündnis wächst täglich und hat inzwischen eine Größe, die uns dazu veranlasst Ihnen mitzuteilen, dass die Bewohnerinnen und Bewohner Berlins in weiten Teilen Ihre Ideen nicht hinnehmen wollen und lieber selbst entscheiden möchten, wie die Fläche in Zukunft genutzt wird. Um die Anliegen der AnwohnerInnen und AktivistInnen zu verdeutlichen, wird es am 20.06.2009 zu einer öffentlichen Massenbesetzung des Tempelhofer Feldes kommen.

Das Bündnis fordert deshalb vom Senat:

1.Öffnung des Zauns und freie Zugänglichkeit für alle
2.Keine kommerzielle Nutzung und Bebauung, keine Verdrängung der Anwohner_innen
3.Schluss mit der Privatisierung und Kommerzialisierung der Stadt, Gentrifizierung stoppen, für eine selbst bestimmte Stadtentwicklung

Diese drei Forderungen werden gerne auch noch erklärt:

1.Öffnung des Zauns und freie Zugänglichkeit für alle:

Alle Menschen sollen das Gebiet straffrei betreten dürfen. Eine kostspielige Überwachung der Wiese mit Sicherheitsdiensten oder ähnlichem muss sofort gestoppt werden und wäre bei einer Öffnung des Geländes überflüssig. Es ist unerträglich und unverständlich, warum mitten in der Stadt eine Fläche in der Größe von über 500 Fußballfeldern nicht von den Menschen, die jahrelang vom Flugverkehr belästigt wurden, genutzt werden darf. Es ist nicht hinnehmbar, dass der Senat die Nutzung einer Wiese verbietet, obwohl ständig davon zu lesen ist, dass gerade in den angrenzenden Bezirken zu wenig Sport-und Spielflächen vorhanden sind.
Auf der Internetseite von Berlin steht über die Wohnortswahl: „Diese Wahl des Wohnorts unterstützt das Land Berlin durch ein großes Angebot an Spielplätzen, kleinen Grünanlagen und Flächen für sportliche Aktivitäten für Kinder und Jugendliche, insbesondere in den Sanierungsgebieten.“ Wer solch hochgestochene Worte Wählt, sollte auch Taten folgen lassen. Die Öffnung Tempelhofs wäre tatsächlich eine Fläche, die gerade auch den angrenzenden Gebieten helfen könnte, trotz der z.T. durch Sie verursachten prekären Lebensverhältnissen, mehr Lebensqualität in den Alltag zu bringen.

2.Keine kommerzielle Nutzung und Bebauung, keine Verdrängung der Anwohner_innen:

Nach einer Öffnung soll es für die Menschen, welche das Gebiet nutzen wollen, die Möglichkeit geben, eigene Ideen ohne Vorgaben durch den Senat auf dem Gelände zu verwirklichen. Von AnwohnerInnen, Inititativen und sozialen Einrichtungen wurden bereits mehrere nicht-kommerzielle Vorschläge gesammelt. Darunter z.B. Offene Wohnräume, Bauwagenplätze, interkulturelle Gärten, Parks, Freiluft-Theater, kulturelle Zentren,
großzügige Hundeauslaufmöglichkeiten, Skateanlagen, Abenteuerspielplätze, offene Kunstwerkstätten, Museen, nicht-kommerzielle Landwirtschaft, Gärten für Kinderläden, Touristenführungen, frei zugängliche Sportflächen etc.

Die Ideenvielfalt ist groß und lässt nicht nach. Mit jedem Tag finden sich neue AktivistInnen, die in dem Gelände die Möglichkeit sehen, endlich fernab einer kapitalistischen Verwertungslogik ihre eigenen Nachnutzungskonzepte zu entwickeln. Das Gelände würde so zu einem kreativen, kulturellen und sozialen Zentrum werden, in dem Menschen ohne Angst vor Ausgrenzung ihre Lebenswelt erweitern und verbessern könnten.

Mit einer kommerziellen Bebauung einher geht auch immer die Verdrängung bestimmter Personengruppen. Denn durch eine sogenannte „Aufwertung“ rund um das Terrain wird nicht nur eine künstliche Mauer zwischen einkommensarmen und wohlhabenden Menschen gezogen, wodurch auch eine innere Parkfläche nur von Besserverdienern genutzt werden würde (Beispiel für solche Entwicklungen ist auch der Mauerpark, der durch die Abschottung in Form einer Brachfläche zur Weddinger Seite kaum von den Anwohnern Weddings genutzt wird).

Nein, diese Art der Bebauung würde in den folgenden Jahren dazu führen, dass wie in anderen Gebieten der Stadt auch in den umliegenden Wohneinheiten ein stärkerer Zuzug durch reiche Bevölkerungskreise entsteht, wodurch eine erneute Sanierungs-, Mieterhöhungs- und Verdrängungswelle in den Gang gesetzt wird.

3.Schluss mit der Privatisierung und Kommerzialisierung der Stadt, Gentrifizierung stoppen, für eine selbst bestimmte Stadtentwicklung:

„Squat Tempelhof“ spricht sich gegen eine Privatisierung und Kommerzialisierung der Stadt und des Gebietes Tempelhof aus. Hierbei richtet sich das Bündnis gegen diejenigen, die noch immer glauben, dass eine Stadtentwicklung durch Investorenträume eine Lösung für soziale Verwerfungen oder prekäre Lebenslagen ist. Im Gegenteil, wird Berlin zu einer genormten und repräsentativen Metropole geformt, dann bedeutet das zugleich das Ende der Lebensvielfalt in dieser Stadt. Die Gentrification wird dafür sorgen, dass viele Menschen nur aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation ihre anvertrauten Lebensumfelder verlassen müssen.

Gentrification, oder Gentrifizierung bezeichnet dabei die schrittweise vorangehende Verdrängung einkommensschwacher Bevölkerungsteile aus einzelnen Stadtgebieten und Kiezen, die einen Aufwertungsprozess durchlaufen. Gleichzeitig ziehen einkommensstarke Menschen nach. Mietsteigerungen, Luxussanierungen, Investitionsprojekte oder Überwachung sind einige Symptome einer solchen Entwicklung. Die drohende Folge dieser Entwicklung ist die soziale Spaltung der Stadt, wie sie in London, L.A. oder Paris anzutreffen ist.

Wir wollen nicht hinnehmen, dass den Menschen rund um „Tempelhof“ das gleiche Schicksal der Verdrängung ereilt und stellen uns daher gegen die geplanten Bebauungen. Die Meinungen der Bevölkerung wurde lange genug von Regierenden übergangen, so dass wir nur noch uns selber glauben können und eine Besetzung des Gebietes als letztes Mittel erachten, um die beschriebenen Szenarien zu verhindern oder ein deutliches Signal zu setzen.

Stoppen sie sämtliche Bauvorhaben in Berlin, die zur Verdrängung von AnwohnerInnen führen! Lassen Sie der Stadt die Luft zum Atmen und den Menschen die Möglichkeit zu freien Entfaltung. Hören Sie auf, die Stadt wie ein Monopolyspiel zu verstehen – Es geht hier um Menschen!

Kommen sie am 20.06.2009 zum Tempelhofer Feld!
Eröffnen sie gemeinsam mit uns den größten Freiraum Berlins!

Gruß, „Squat Tempelhof“

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