Am 5. Juni wird es im Rahmen des “Stadt für Alle” Bündnisses den Aktionstag “Mediaspree entern” geben. Hier der Aufruf
Spreeufer für Alle selber machen! Privatisierung verhindern! Steigende Mieten stoppen.
Unbeeindruckt vom vielfältigen und bunten Protest der letzten Jahre sind die an hohen Profiten interessierten Unternehmen mit Unterstützung der politisch Verantwortlichen weiter dabei, ihre Planungen für das Spreeufer in Friedrichshain und Kreuzberg, Treptow und Mitte, das ehemalige sogenannte Mediaspree-Gebiet, voranzutreiben: noch mehr schicke Hotels, noch mehr Konzernzentralen, noch mehr Einkaufszentren, noch mehr Luxuswohnungen. Der bisherige Protest hat offensichtlich noch nicht gewirkt. Deswegen kommt alle zum Aktionstag im Sommer 2010: „Auf zu neuen Ufern – Mediaspree entern!“
Mediaspree soll gebaut werden – trotz aller Proteste
Unzählige Menschen haben in den letzten Jahren gegen die Mediaspree-Planungen protestiert: auf Demonstrationen und kreativen Aktionen, durch Farbbeutelwürfe und kaputtgegangene Fensterscheiben, mit Flugblättern und Kunstinstallationen. Im Sommer 2008 hat sich die überwältigende Mehrheit von 30.000 abstimmenden Menschen beim Bürger_innen-Entscheid in Friedrichshain-Kreuzberg gegen die Mediaspree-Planungen ausgesprochen.
Es wurde ein Sonderausschuss eingerichtet, in dem eineinhalb Jahre Grundstück für Grundstück die Forderungen des Initiativkreises weg-bürokratisiert wurden. Bezirksbürgermeister Franz Schulz zeigte dann spätestens zur Eröffnung des Mode-Showrooms Labels II im Osthafen, dass er nach wie vor ein großer Freund der Mediaspree-Idee ist: der Neubau sei „ein wichtiger Baustein“ für die Entwicklung des Gebietes, ließ er Mitte Januar 2010 verlauten. Schon beim Dämmissol-Gelände, dem größten noch nicht privatisierten Grundstück des Kreuzberger Spreeufers, hatte das Bezirksamt den Sonderausschuss überrumpelt. Dies brachte das Fass zum überlaufen und der „Initiativkreis Mediaspree Versenken!“ beendete die Arbeit mit den Polit-Funktionären im November 2009. Es war ohnehin eine Farce gewesen: trotz Bürger_innen-Entscheids wird das Nippon-Hotel am Osthafen errichtet und auf dem Gelände des „Maria am Ostbahnhof“ ein neues Hochhaus geplant. Leerstehende Flächen werden mit Natodraht umzäunt, an der Schillingbrücke werden Altbauten abgerissen, um ein 4-Sterne-Hotel zu bauen und der Liegenschaftsfonds verkauft die Nachbargrundstücke an die nächsten Investoren.
Gegenüber muss der Bauwagenplatz „Schwarzer Kanal“ den Plänen des Konzerns „Hochtief“ weichen. Auf Kreuzberger Seite und in Mitte stehen Baugruppen von Besserverdienenden bereit: sie bauen sich Häuser mit Eigentumswohngen in bester Lage und erfüllen sich damit ihr privatisiertes Glück. An der Köpenickerstraße eröffnete 2009 ein Möbelhaus für gehobene Ansprüche, im gleichen Gebäudekomplex gibt es teure Zigarren oder edle Weine. Zielgruppe solcher Ansiedlungen sind Menschen der gehobenen Mittelschicht. Die Existenz von Projekten wie dem RAW oder dem Yaam bleibt dabei unsicher, sie sind bedroht. Auch, wenn es nicht zu jedem vorher angekündigten Hochhaus kommt oder hier und da ein kleiner Park gebaut wird: Die O2-World hat sich trotz erfolgreicher Proteste beim Eröffnungstag endgültig am Spreeufer niedergelassen, die Werbetafeln zeigen deutlich, wem die Spree gehört.
Unsere Wut hat nicht nachgelassen, im Gegenteil. Weiterhin sind wir wild entschlossen, die kommerziellen Planungen für das Spreeufer zu verhindern, um statt dessen das Motto „Spreeufer für Alle“ Wirklichkeit werden zu lassen.
Berlin – nur für Reiche sexy?
Die Entwicklung am Spreeufer geschieht nicht abgetrennt von anderen Entwicklungen in Berlin. Die Stadtumstrukturierung führt zu steigenden Mieten und einer Verdrängung von Bewohner_innen aus innenstadtnahen Quartieren. Die verantwortliche Politik schaut dieser Veränderung zu und feuert sie durch die Förderung von Leuchtturmprojekten wie Mediaspree sogar noch an. Insbesondere der Berliner Senat, aber auch Bezirkspolitiker_innen, haben mit ihrer beeindruckenden Ignoranz immer wieder gezeigt, dass ihnen die Medien- oder Mode-Unternehmen und die O2-World weit mehr am Herzen liegen als die Anwohner_innen der Gebiete um das Spreeufer.
Eine Ausrede der Verantwortlichen ist immer, dass sie gar nicht anders könnten. Die steigenden Mieten seien naturgegeben und beim Mediaspree-Gebiet müssten sie leider den Sachzwängen gehorchen. Die steigenden Mieten sind aber ein Resultat der Wohnungsverteilung über einen Markt, dessen oberstes Prinzip der Profit ist und gerade nicht die Bedürfnisse der Mieter_innen. Die Stadt wird nicht vorrangig als Ort gesehen, in dem Menschen leben, sondern der als Wirtschaftsstandort vermarktet werden muss und für Unternehmen Profite liefern soll.
Die zunehmende Schere zwischen Arm und Reich trägt dazu bei, dass sich für viele die Lebensqualität weiter verschlechtert. Berlin ist die Stadt mit dem größten Armutsrisiko in Deutschland. Jedes dritte Kind wächst in Armut auf und die aktuelle Stadtpolitik verschärft die Lage der Menschen mit geringen Einkommen sowie der Hartz4-Empfänger_innen weiter. Die steigenden Mieten werden für sie untragbar, sie müssen ihren Kiez und ihre gewohnte Umgebung verlassen, oft führen die staatlichen Schikanen und mangelnde Perspektiven zur Obdachlosigkeit. Dazu trägt bei, dass es keinen sozialen Wohnungsbau mehr gibt, sondern nur noch Lofts und Baugruppenprojekte gebaut werden. Die reicheren Menschen haben immer größere Wohnungen und verändern viele Gebiete in schicke No-Go-Areas für Arme. Der Zwang gegen die Menschen mit geringerem Einkommen ist oft lautlos, etwa durch Mieterhöhungen. Diese strukturelle Gewalt gegen immer mehr Bewohner_innen wird durch verstärkte Überwachung und direkte Polizeimaßnahmen gegen sogenannte „Randgruppen“ begleitet.
In dem Prozess der „Aufwertung“ erscheinen auch zunächst unverdächtige Dinge wie Standbars oder neue Parks verantwortlich für die sogenannte Gentrifizierung. Denn innenstadtnahe Gebiete mit billigen Mieten ziehen junge Menschen an, wodurch neue Kneipen entstehen und das Gebiet auch für Menschen mit höherem Einkommen attraktiv wird. Die Mieten schießen in die Höhe und die Stadt verändert sich in eine exklusiven Raum für die Bessergestellten. Diese kapitalistische Stadtumstrukturierung ist allerdings mitsamt ihren Sachzwängen immer noch von Menschen gemacht: nicht nur durch Staatsangestellte oder Investor_innen, sondern auch durch all jene Leute, die durch ihr alltägliches Mitmachen Teil des reibungslosen System-Ablaufs sind. Von daher ist es wichtig sich selbst in diesem Prozess zu verorten und die eigenen Handlungsspielräume zu erkennen.
Widerstand gegen Mediaspree, steigende Mieten und Stadtumstrukturierung: Jetzt erst recht!
Wir wollen nicht nur eine andere Bebauung der Spreeufer, sondern auch eine grundsätzliche Veränderung in den Prozessen über die Gestaltung und Nutzung der Flächen und Gebäude. Der Kapitalismus mit dessen vermeintlichen Sachzwängen setzt die Stadt unter Druck, jetzt ist es an uns die Stadt zu übernehmen.
Anfang Juni werden Wetter und Wut voraussichtlich eine Mischung entstehen lassen, die uns ideal erscheint, um eine richtig große Aktion gegen die Mediaspree-Planungen zu starten. Deshalb laden wir hiermit zum großen Aktionstag ein, bei dem wir den Planungen praktisch ein Ende setzen und anfangen werden, unsere Wünsche am Spreeufer zu verwirklichen. Ungewollte Baustellen werden besetzt und ungenutzte und zur Privatisierung ausstehende Flächen angeeignet, um hier unsere Art der Stadtentwicklung erfahrbar zu machen. Störende Event-Ufos werden in ihrem Betrieb gestört, Polizist_innen werden spielerisch und lässig umgangen. Ein von elitären Architekt_innen gestylter Park wird von uns neu bepflanzt und umgebaut, leerstehende Gebäude werden in Beschlag genommen, um günstigen Wohnraum zu schaffen. Das Ganze wird ein bunter und wütender Aktionstag, lustig für uns, aber hoffentlich ein Alptraum für diejenigen, die denken, dass unsere Kieze und die Spreeufer ein angemessener Ort für die Erzielung fetter Profite sind.
Wir wissen, dass viele Menschen unzufrieden sind, sich aber im Alltag vereinzelt fühlen. Wir hoffen, dass der Aktionstag die Möglichkeit bietet durch einen Akt des gemeinschaftlichen zivilen Ungehorsams deutlich zu machen, dass wir nicht länger zusehen werden, wie über unsere Köpfe hinweg entschieden wird. Wir wünschen uns, dass die Erfahrung einer kollektiven Aktion vielen Menschen Mut macht, sich etwa gegen die nächste Mieterhöhung oder das nächste Luxusbauprojekt gemeinsam zu wehren.
Und auch der nächste Aktionstag kommt so oder so. Je unsozialer die Verhältnisse sind, in denen wir leben, um so entschlossener möge der Widerstand sein, den wir auf allen Ebenen, vielfältig und kreativ, den alltäglichen Zumutungen des kapitalistischen Systems entgegensetzen.
Die Spreeufer denen, die sie wollen und brauchen! Die Häuser denen, die drin wohnen! Die Stadt gehört uns allen!